Balthasar Neumanns Weinhändlerpalais in Zell"
Nachfolgend eine Beschreibung:
Daß Balthasar Neumann in Zell am Main ein Schloß erbaut hat, ist in Vergessenheit geraten. Es ist aber ein Hinweis auf die einstmals große Bedeutung Zells für den überregionalen Weinhandel.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts brach nach den jahrzehntelangen Reichskriegen mit Frankreich für den Weinhandel eine Blütezeit an. Frankfurt wurde die Handelsmetropole für rheingauer, rheinpfälzer, rheinhessische und vor allem fränkische Weine. Die letztgenannten sind die Hauptursache für den Aufschwung des Frankfurter Weinmarktes.
Frankfurt war im 18. Jahrhundert die teuerste Stadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und zugleich wichtigster Umschlagsort für Wein. Etwa 30 fränkische Weinhändler kontrollierten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Frankfurter Weinmarkt, errichteten dort Handelshäuser und bildeten gegen den Willen der Frankfurter Regierung ein Kartell. Dazu gehörten auch die vier bedeutendsten Zeller Weinhändlerfamilien Wiesen, Fleischmann, Fasel und Bauer.
Die Zeller Weinhändler agierten aufgrund ihres geschäftlichen Könnens und ihrer geschickten Heiratspolitik offensichtlich sehr erfolgreich. Sie waren direkt oder indirekt mit den übrigen führenden fränkischen Weinhändlern verwandt. Die ab 1715 errichteten Zeller Palais sind Zeugnisse des Erfolges und des Selbstbewußtseins der Zeller Weinhändler.
Aufgrund der Qualität und Konzentration seiner Weinhändleranwesen nahm Zell im 18. Jahrhundert eine Sonderstellung ein. Ein derartiges Weinhändlerviertel hatten die übrigen führenden fränkischen Weinhändlerorte nicht aufzuweisen.
Die archivalisch belegten Aktivitäten der Zeller Geschäftsleute im Würzburger und vor allem Frankfurter Weinhandel dokumentieren die überregionale Bedeutung des Ortes in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zugleich war Zell auch in der Ziegelherstellung die führende Produktionsstelle im Hochstift. So wurde ein Großteil der Ziegel der Festung Marienberg, der Würzburger Befestigungsanlagen und vor allem der Würzburger Residenz in Zeller Ziegeleien hergestellt.
Ab 1741 entstanden die qualitätsvollsten Weinhandelshäuser in Zell. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Errichtung der Zeller Schloßanlage im Jahre 1744 durch Balthasar Neumann für den Weinhändler Andreas Wiesen. Die dreiflügelige Anlage bildete ein seltenes Beispiel dafür, wie sich ein wohlhabender Geschäftsmann bürgerlicher Herkunft an der höfischen Garten- und Schloßgestaltung orientierte.
Auf der Grundlage der nicht ausgeführten Pläne des Jagdschlosses Mädelhofen und unter Verwendung des bisher in Franken singulären Bautypus des Heilgerdorfer Schlosses schafft Balthasar Neumann ein architektonisches Novum,indem er die verschiedenen Funktionen eines Manufakturbetriebs, eines Geschäftshauses und eines Wohnhauses unter einem Dach zu vereint. So war die Weinmanufaktur in einem doppelgeschossigen Keller, der Geschäftsbereich mit Kontorräumen und repräsentativen Empfangsräumen im Erdgeschoß und die Wohn- und Lagerräume im ebenfalls zweigeschossigen Dachbereich untergebracht.
Der Wandel der letzten 250 Jahre findet seinen Niederschlag in der Geschichte des Zeller Weinhändlerschlosses. Dem grandiosen Beginn als von Balthasar Neumann erbautem Schloß folgen dramatische Veränderungen. Seine Metamorphosen beschreiben nicht nur das Schicksal eines Ortes, sondern machen die Entwicklung einer Ortschaft und einer ganzen Region greifbar.
Repräsentatives schloßähnliches Weinhandelshaus, dann Gerberei, Lederwarenfabrik, Brauerei, Mälzerei, Lack- und Pianofabrik und schließlich auch noch Gastwirtschaft und Café. Das sind die Stationen des Anwesens der Familie Wiesen. Zell spielte in der späten Barockzeit als Weinhändlerzentrum und während der beginnenden Industrialisierung durch die frühen Gründungen von »Bürgerbrau« und »König und Bauer« eine wichtige Rolle. Hauptschauplatz dieser Entwicklung war immer das von Neumann errichtete Weinhändlerschloß der Familie Wiesen.
Verlag Königshausen & Neumann – Würzburg
200 Seiten | Broschur
Erscheinungsdatum: 01.12.2013
€ 19,80 - zur Zeit beim Verlag nicht vorrätig
ISBN 978-3-8260-5297-2
Autor: Christian Naser
weitere Informationen des Arbeitskreises Wasser-Architektur-Geschichte